Trockenheitstolerante Schlauchpilze auf Picea-Ästen

#1
Hallo,

ich möchte hier auf ein relativ spezielles, für mich aber sehr interessantes Thema eingehen: Trockenheitstolerante Schlauchpilze auf entrindeten, noch am Baum befestigten Ästen von Picea abies im montanen/subalpinen Bereich. In den letzten Jahren hab ich zahlreiche solcher Äste angeschaut (vor allem in der Steiermark aber auch außerhalb) und dabei mit einer auffallenden Regelmäßigkeit bestimmte Schlauchpilzarten beobachtet, die in der Ö-Datenbank bisher kaum oder noch gar nicht registriert waren. Ich finde dieses regelmäßige und oft gemeinsame Vorkommen (mitunter auf demselben Ast) sowie die spezielle Ökologie so interessant, dass ich den Arten einen eigenen Beitrag widmen möchte. Der soll natürlich auch zum Nachsuchen anregen!

Beginnen möchte ich mit einem unverwechselbaren Pilz, den man bereits im Feld ansprechen kann – aber auch der Blick ins Mikroskop lohnt sich, denn die Art hat einsporige Asci! Das sieht man ja nicht gerade alle Tage. In jedem Schlauch sitzt eine einzige längliche, bräunliche, muriforme Spore. Die Rede ist von Mellitiosporium propolidoides. Makroskopisch zeichnet sie sich durch dunkelbraune bis schwarze, aus dem nackten Holz hervorbrechende Apothecien mit kurzgezacktem Rand aus, die sich bei Trockenheit etwas schließen und dann recht unscheinbar sind. Das umliegende Substrat ist aber oft ausgebleicht, wodurch die Apothecien leichter zu entdecken sind.
Meiner Erfahrung nach bevorzugt diese Art halbwegs naturnahe Lebensräume in luftfeuchter Umgebung, wobei natürlich auch einzelne ältere Bäume mit entsprechenden abgestorbenen Ästen ausreichen können.

Mellitiosporium propolidoides:
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Vielen ist die Gattung Propolis ein Begriff, hauptsächlich aufgrund der ausgesprochen häufigen Art Propolis farinosa (= P. versicolor), die sowohl im Luftraum als auch auf liegendem Holz, besonders von Laubbäumen, wächst. Auf Nadelholz-Ästen im Luftraum in montanen/subalpinen Gebieten ist sie mir bisher aber noch nie untergekommen (was natürlich nicht heißen soll, dass sie da nicht vorkommen kann; in niedereren Lagen fand ich sie selber schon auf Picea). Auf solchen Ästen sammle ich stattdessen regelmäßig zwei andere Propolis-Arten, die häufigere (oder zumindest auffälligere!) davon ist meiner Erfahrung nach Propolis rhodoleuca. Sie fruktifiziert oft sehr zahlreich und ist aufgrund der Ökologie und der strahlend weißen, z. T. aber auch schwach rosa gefärbten Fruchtkörper mit gewisser Erfahrung schon im Feld mit großer Wahrscheinlichkeit anzusprechen. Mikroskopisch fallen die ± ellipsoiden, höchstens schwach gekrümmten Sporen auf, die natürlich vollkommen von denen von P. farinosa abweichen.

Propolis rhodoleuca:
Propolis rhodoleuca, 6.V.2016-1.jpg
propolis rhodoleuca, 30-III.2018-1.jpg
(Kollektion auf Borke von lebender Fichte; die Fruchtkörper waren hier auffällig klein und rundlich.)

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Unscheinbarer als die vorherige Art, da meist weniger zahlreich wachsend und tendenziell kleinere und nicht so strahlend weiße Apothecien bildend, ist Propolis hillmanniana. Sie hat stärker gekrümmte Sporen, die von der Form her schon eher an jene von P. farinosa erinnern, jedoch sind sie dicker und meist nur mit winzigen Tropfen gefüllt (bei P. farinosa sind auch größere Tropfen dabei).

Propolis hillmanniana:
Propolis hillmanniana, 16.V.2015-1.jpg
Propolis hillmanniana, 6.V.2016.jpg
Bestimmt habe ich die Propolis-Arten übrigens mit dem Schlüssel zu den Marthamycetaceae von Baral.


Besonders spannend finde ich die folgende Art, die wir im vergangenen Jahr neu beschrieben haben (siehe Fernández-Brime et al. 2017). Sie heißt Cryptodiscus muriformis und bildet, wie das ja typisch ist für die lignicolen Arten dieser Gattung, im Holz eingesenkte Fruchtkörper. Aufgrund ihrer wenig auffälligen Färbung ist sie daher nicht leicht zu entdecken. Dafür kann man sie im Mikroskop anhand ihrer muriformen Ascosporen umso leichter bestimmen, denn sie ist die derzeit einzige bekannte Cryptodiscus-Art mit diesem Merkmal.
Für die oben genannte Publikation hab ich mich gezielt auf die Suche nach C. muriformis gemacht und war am Ende selber überrascht, wie häufig und oft auch zahlreich fruktifizierend ich sie auf den passenden Picea-Ästen fand. Vor der gezielten Suche hatte ich nur zwei Funde mit insgesamt drei Apothecien…

Cryptodiscus muriformis:
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(Links sieht man dasselbe Apothecium im trockenen (oben) und wiederbefeuchteten (unten) Zustand.)


Als letzte Art zeige ich Orbilia "alpigena", ein noch unbeschriebenes Knopfbecherchen. Weitere Informationen werden in der Monographie von Baral et al. folgen, da möchte ich nicht weiter vorgreifen. Es sei aber gesagt, dass O. "alpigena" oft ein wahrer Massenpilz ist, der auf manchen Ästen mit hunderten Fruchtkörpern erscheinen kann. Im Feld sind sie natürlich nur als orangerote Punkte zu sehen – die sichere Bestimmung muss dann unter dem Mikroskop erfolgen.

Orbilia "alpigena":
Orbilia alpigena, 6.V.2016-1.jpg
Orbilia alpigena, 6.V.2016-2.jpg

Und hier noch ein paar Fotos von Waldgebieten, in denen ich die oben gezeigten Arten typischerweise finde:
2017-04-17-Weinebene-Bärental-120.jpg
2017-04-17-Weinebene-Bärental-111.jpg
2017-06-03-Hebalm - Freiländer Filz-168.jpg
2016-05-06-Weinebene-Bärental -180.jpg
Pholiota scamba (Habitat).jpg

Abschließend möchte ich noch darauf hinweisen, dass manche der genannten Arten keineswegs auf entrindete Picea-Äste beschränkt sind, auch wenn ich sie bei uns als charakteristisch für dieses Substrat ansehe. Die Vorliebe für totes, trockenes Nadelholz im Luftraum bleibt aber. So finde ich M. propolidoides regelmäßig auch auf Pinus sylvestris, bisweilen zusammen mit einer anderen noch unbeschriebenen Orbilia-Art, und aus Osttirol hab ich einen Nachweis von Pinus cembra (soc. P. rhodoleuca – diese Art ist also ebenfalls nicht auf Picea beschränkt). Übrigens überlebt M. propolidoides auf herabgefallenen Ästen noch eine Weile, man kann sie also auch bei der Untersuchung von liegendem Substrat entdecken. Propolis hillmanniana kenne ich bislang hingegen nur von Picea, hab sie aber auch schon auf der Borke von lebenden Bäumen gefunden (siehe oben), also nicht nur auf entrindeten Ästen. Cryptodiscus muriformis ist in Europa bislang ebenfalls nur von Picea bekannt, wobei es einen morphologisch gut übereinstimmenden Fund von einem berindeten Ast von Pseudotsuga menziesii aus den USA gibt, der aber leider nicht sequenziert werden konnte.

Also, bei der nächsten Bergwanderung auch mal die Äste im Luftraum inspizieren – es kann sich lohnen. :-)

Schöne Grüße
Gernot

Re: Trockenheitstolerante Schlauchpilze auf Picea-Ästen

#2
Lieber Gernot,
super Beitrag. Interessante Arten, sowohl seltene als auch einfach unterkartierte, mit genauen Hinweisen zuHabitus, Standort, Substrat, Substratzustand, Mikromerkmalen, Mikrofotos, Verwechslungsmöglichkeiten und Literatur! Dass Du die Fundorte ganz genau verortet hast, weiß ich ohnehin. Wenn du mal ein Foto mit Koordinaten hast, kannst duhier im Forum auch die google map einbinden.
Werde selber auch beim nächsten Alpenbesuch auf solche Ästchen achten!
LG
Irmgard

Re: Trockenheitstolerante Schlauchpilze auf Picea-Ästen

#3
Servus Gernot,

für Schlauchpilze unter einer gewissen Größe sind mir noch keine Antennen gewachsen, daher habe ich über diesen Bericht nur flüchtig darüber gelesen.
Erst jetzt, beim Verlinken der Beiträge habe ich registriert, dass Orbilia "alpigena" noch nicht beschrieben wurde und es eine Monografie von Baral et al. dazu geben wird.
Anhand eines eigenen Fundes daran mitzuarbeiten ----> gibt es was Interessanteres?

Unter Gänsefüßchen würde ich O. alpigena der Liste anfügen, wenn's denn o.k. ist.

LG
Peter
cron